Die "Männerreih"
Ein feucht-fröhlicher Zug durchs Dorf
Noch immer wird die Roisdorfer Kirmes am vierten Sonntag im September gefeiert. Obwohl inzwischen viele Kirmesbräuche wiederbelebt sind, wurde die hiesige Kirmes bis Anfang der 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts noch mehr als echtes Fest für das ganze Dorf empfunden und dementsprechend auch von Jung und Alt mitgefeiert.
Die Kirmes begann sonntags nach dem Hochamt und endete dienstags mit dem Ball der Schützen, nachdem der Schützenkönig zuvor auf dem Schützenplatz ausgeschossen worden war. Die Kinder bekamen von Eltern, Großeltern und Paten „Kirmesgeld“, Damit die Erwachsenen angemessen mitfeiern konnte, wurden mindestens drei Urlaubstage reserviert. Das war damals, als der Samstag noch regulärer Arbeitstag war, immerhin ein Viertel des Jahresurlaubes, der üblicherweise zwölf Werktage betrug.
Theaterverein "Alpenglühn" mit Paias auf Schörreskarre (von der Pauke halb verdeckt) vor der Wirtschaft Rech ("Zur Wolfsburg")
Höhepunkt der Kirmes war der Kirmesmontag. Dann kamen viele Roisdorfer, die Heirat oder Beruf in andere Orte verschlagen hatte, zum Mitfeiern zurück in ihr Heimatdorf. Der Montag begann mit einer sehr gut besuchten Messe für die Gefallenen und Verstorbenen der Gemeinde. Danach wurde vor der Kirche, von der heute nur noch der Turm übrig geblieben ist, Fähndel geschwenkt.
Nachdem in den letzten Jahren das „Fähndelschwenken“ wieder von den Junggesellen gepflegt wird, dürfte vielen wieder bekannt sein, worum es sich handelt. Damit wird das Schwenken einer Fahne mit einem beschwerten Handgriff bezeichnet, die hier im Vorgebirge durch einen „Fähnerich“ nach einer besonderen Melodie mit Schwüngen um den Körper, Überspringen des schwingenden Fähndels sowie Hochwerfen und Auffangen kunstvoll bewegt wird. Für die hiesige Melodie und deren Rhythmus war ein Merkvers bekannt: „Wenn de Jupp dat Fähndel schwenk, sprönk e övve Stöhl un Bänk“. Auch einzelne Figuren hatten eigene Bezeichnungen. Zum Beispiel „de duppelte Sonn“ (= doppelte Sonne), wenn es dem Fähnrich gelang, das hochgeworfene Fähndel nach zwei Drehungen in der Luft wieder sicher aufzufangen.
Das Fähndel am Kirmesmontag wurde meistens von verheirateten „Fähnrichen“ geschwenkt, die dies seit ihrer Junggesellenzeit noch nicht verlernt hatten. Nach verdientem Beifall und fachkundigem Lob für den Fähnrich versammelten sich viele männlichen Kirchbesucher in zwei Gruppen als Männerreih. Eine „Männerreih“ marschierte zum Saal Frings, dem heutigen Lokal „Zur Quelle“. Die zweite Gruppe zog weiter zum Saal bei der Gastwirtschaft Jakob Pütz (Pötze Köbes). Dieses Lokal gegenüber der Einmündung der Brunnenallee in die Brunnenstraße ist inzwischen abgerissen; an dessen Stelle stehen jetzt Wohnhäuser.
In anderen Orten war die „Männerreih“ ein richtiger Verein, der oft aus verheirateten Mitgliedern von Junggesellenvereinen entstand. Dies war in Roisdorf, zumindest in der mir bekannten Zeit, nie der Fall. Hier bildete sich die „Männerreih“ als lockerer Zusammenschluss für den Kirmesmontag jährlich neu.
Vielleicht gab es früher auch hier ein Zusammenhang mit den Junggesellenvereinen, denn die Generation unserer Großeltern bezeichneten diese auch als „de Reih“.
Die Roisdorfer „Männerreih“ wurde von einigen Freiwilligen, zum Beispiel damals von Peter Botz (Botze Pitte) für die „Männerreih“ bei „Pötze Köbes“, organisiert. Meist geschah dies so, dass man einen Sonntag vor der Kirmes nach der Kirche oder beim Frühschoppen angesprochen wurde, ob man wieder bei der „Männerreih“ mitmache. Es wurde dann ein Startgeld von einer Mark bezahlt und man gehörte dazu.
Wenn die Männer am Kirmesmontag im Lokal ihrer „Männerreih“ ankamen, hatte sich dort bereits auch das weibliche Geschlecht eingefunden, denn anschließend begann ein Vormittagsball. Meist wurde nur eine geringe Eintrittsgebühr verlangt, dafür aber zusätzlich in der „Halbzeit“ des Tanzes ein „Tanzgroschen“ eingesammelt.
Nach einigen Tänzen zogen die Männer dann meistens gruppenweise durch die anderen Wirtschaften des Ortes. Dabei gab es, anders als heute, keine Trennung zwischen Jungen und Alten. Die „durchtrainierten“ Festteilnehmer schafften am Kirmesmontag alle Lokale. Das waren immerhin sechs, und als die Bahnhofswirtschaft noch existierte, sogar sieben Stationen. Man freute sich bei diesem Rundgang, dass man immer wieder „alte Roisdorfer“ traf, die ihren Heimatort extra für das gemeinsame Kirmesfeiern aufgesucht hatten.
Wirtschaft Pütz ("Pötze Köbes"), 1921, später Badenheuer, heute abgerissen
Wirtschaft Hamacher, 1957
Bahnhofsgaststätte, ca. 1960, heute abgerissen
Wirtschaft Unkelbach, 1928, heute "Dorfschenke"
Wirtschaft Rech, 1920er Jahre, später "Ristorante Fratelli", heute geschlossen
Wirtschaft Botz, Anfang 20. Jh., später "Alt-Roisdorf", heute geschlossen
Wirtschaft Kopp, Anfang 20. Jh., später Schlösser/Frings, heute "Zur Quelle"
Die wenigsten Männer gingen zum Mittagessen nach Hause. Meist stärkte man sich auf dem Kirmesplatz, der damals noch vor dem Lokal Hamacher war, mit Reibekuchen oder Bratwurst; Fritten waren noch unbekannt.
Am frühen Abend lösten sich Gruppen nach und nach auf. Einige luden ihre Zechgenossen noch zum Sauerbratenessen nach Hause ein. Dabei wurde wohl keine Gedanke darauf verschwendet, ob die Frauen diese Spendierlaune gut fanden, und wie diese für die ungeplanten späten Gäste das Essen auf den Tisch bekamen.
Der finanziellen Überschuss der „Männerreih“ wurde oft durch den Wirt noch aufgestockt und am Samstag nach Kirmes gemeinsam verzehrt. Es gab dann für alle Kartoffelsalat mit Würstchen und zusätzlich einige Biermarken.
Mit zunehmendem Wohlstand hatten immer mehr Leute ein eigenes Auto. Die gewohnten Urlaubstage zu Kirmes wurden zwar immer noch genommen, aber dann für einen Kurzurlaub genutzt. So hat sich die Einstellung zum Feiern in der Dorfgemeinschaft langsam gewandelt und der Kirmesmontag hatte als Höhepunkt der Roisdorfer Kirmes ausgedient.
Text: Heinz Dahlen