"Reglemangsbuch" der Schützen
Blick in die Frühzeit der Bruderschaft
Die Roisdorfer St. Sebastianus Schützenbruderschaft hatte es sich im Jahre 2004 mit ihrer Entscheidung nicht leicht gemacht: Angesichts veränderter Freizeitgewohnheiten der Roisdorfer erschien es ratsam, mit dem altehrwürdigen Brauch zu brechen, das Königs- und Prinzenschießen am Nachmittag des Kirmessamstag, am vierten Septemberwochenende zu veranstalten. Seither ist es nun mit dem sommerlichen Schützenfest verbunden. Das Schützenfest an einem Sonntag im Juli wird dabei in den gleichen Formen wie bislang gefeiert werden, auch ein Bürgerkönig oder eine Bürgerkönigin dort ermittelt. Tags darauf, also am Montagabend, ringen dann die Schützenbrüder mittels Vogelschießen um die Würde des Schützenkönigs und des Schützenprinzen.
Die Verbindung zwischen Königsschießen und Kirmes in Roisdorf dürfte so lange zurückzureichen, wie es hier eine eigene Großkirmes gibt, also bis in die frühen 1930er Jahre. Vorher war der Termin für das Königsschießen naturgemäß ein anderer. An welchem Termin und in welchen Formen man den Wettbewerb um die Königswürde im 19. Jahrhundert durchführte, hierüber berichtet ein vor wenigen Jahren im Archiv der Pfarrgemeinde St. Sebastian aufgefundenes, durch lange Benutzung stark ramponiertes, aber immer noch vollständig erhaltenes Heft, auf dessen erster Seite in Schönschrift der Titel "Reglemangs-Buch" prangt.
Das 1863 angelegte und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts benutzte, dann jedoch abgelegte und in Vergessenheit geratene „Reglemangs-Buch“ des damaligen Schützenvereins Roisdorf, der heutigen St. Sebastianus Schützenbruderschaft, beleuchtet schlaglichtartig die frühen Jahrzehnte der Gemeinschaft, die im Jahre 1848 „unter dem Schutze des heiligen Sebastianus Pfarrpatron der hiesigen Gemeinde“ gegründet worden war, um ihren Mitgliedern in Zeiten politischer Umbrüche und Wirren einen festen sozialen Halt zu gewährleisten. Wie die am 20.4.1850 beschlossenen Statuten mitteilen, fand man sich zusammen, um „Vogel, Sternen und Scheibenschießen, zum geselligen Vergnügen anzuordnen, sowie den mit Tod abgehenden Mitgliedern eine anständige und feierliche Beerdigung zu veranstalten.“
Das wieder aufgefundene Dokument enthält neben frühen Mitgliederlisten das Reglement des alljährlichen Königsschießens sowie das Festprogramm der Krönung des Schützenkönigs Jakob Müller, der das Amt des Vorsitzenden des Schützenvereins von der Gründung bis zum Jahr 1875 bekleidete. Letztere amüsant zu lesenden Dokumente seien im Folgenden in orthographisch unverändertem Wortlaut wiedergegeben.
Reglemangs
Buch
Des
Schützenvereins
Roisdorf
1863
Unter dem heutigen Tatum den 14ten Juni 1863, wurde der hiesige Schützenverein vermittels eines Circulars zu einer außergewöhnliche General-Versamlung zusamen berufen, um hauptsächlich die Festlichkeiten, und einrichtung, zu unserem bevorstehenden Schützenfeste zu ordnen.
Dieses Fest ist auf den 28ten Juni wen aber verhinderungen eintreten, auf den Sontag davor, oder den nachvolgenden Sontag für jedes Jahr fest gesetzt. Der Verein war auch Zahlreich vertreten, und es wurde unter anderem auch die Anlegung eines Buches für die Regelen und Beschlüße auf zu Zeignen beschlossen, und der Herr Protokollführer beauftragt, dasselbe sofort anzuschaffen um es auch schon bei der nächsten Versamlung dem Verein vorzulegen.
Haupt Schützen Fest.
Königs Ehren-Preis-Vogelschießen
Abgehalten am 28ten Juni 1863
Fest Program
Am Abend vor dem Feste wierd durch sechs Böller schüßen und großen Zapfenstreich die frohe Feier des nächst komenden Tages angekündigt. Am frühen Morgen des Hochfestlichen Tages ebenfals sechs Böllerschüße und große Revelge.
Morgens ½ 7 und 9 Uhr gemeinschaftlicher Kirchengang.
Um 11 Uhr Spezial Revü im Lokale.
Mittags 3 Uhr zusamentreten im Parade anzuge im Schützenlokale, Musterung und Ranschierung der Compagni, vorlesung des Königsschießen-Reglemangs, ziehung der Numer, nach dieser beendigung, setzt der Feßliche Zug sich in bewegung, zum Fahnen Quartier, nach dessen Empfangnahme, bewegt der Zug sich nach der Behausung des alten Schützenkönigs welcher dan unter Presäntiertem Gewehr in den Zug eintritt, nun ein Marsch durchs Dorf nach dem Schützenplatz.
Auf dem Platze angekomen begint auch gleich das Schießen den vertheilten Numern nach.
Währent dem Schießen Geselliche und Gemüthlich Unterhaltung nebst Harmonie und Volksbelustigung.
Fält inzwischen ein Pfand vom Vogel herunter, so gibt es ein Tusch und Halo von allen seiten.
Endlich nach langem Anstrengen und Ringen, Knallen und Ziehlen, Plätieren und Diskorieren, komt der Vogel herunter gewirbelt.
Da wierd die Freude algemein mit einmahl springt alles von seinen sitzen auf und nun gehts los, über den Sieger her
Hoch - Hoch - Hoch
Hallo - Hoch und noch ein kräftiges Hura.
Wen nun die von allen Seiten zustömenden Glükwünsche und Gradulatzionen ein ende genomen haben so wierd Er nach Schützenweise auch als Schützenkönig gekrönnt, und zwar auf folgende weise.
Krönung des Schützen Königs am 28ten Juni 1863 - J. Müller
Der Hauptmann der Schützen Compagni, Wilhelm Rech mußte auch zugleich die Ansprach an den neuen König übernehmen, welches sonst dem Presietenten seine Sache war, und der jetzt grade den Königsvogel herunter geschoßen hatt und nun auch gekrönt mußt werden.
Auf Befehl des Hauptmanns gab der Tampor das Siegnal mit der Tromel und jeder Schütze stelte sich unter sein Gewehr. Die Herrn Offizieren - Tönnessen und Schmitz - Rangirten die Compagni, die Musick audietäte -
Der Hauptmann komantirte Stilgestande, Richt euch, Gewehr auf. Leutenant Schmitz mit der Musick Fahnen und sechs Mann von rechten flügel zur abholung der Geschenke Marsch. Die Geschenke werden gewähnlich von sechs Mädchen getragen.
Wen diese ankomen treten Musick mit Fahnen und Manschaften wider in reih und Glied. Die Mädchen aber treten mit den Geschenke und dem Siegeskranz zu dem neuen König heran, und unter dem Donner der Geschütze dem rauschen der Musick schmüken Sie denselben mit dem Ehrenkranz, begrüßen Ihn mit Lobsprüchen und Festgesang. Von Wone entzückt durch die Anmuthige Holde und Liebliche Bekränzung der Schönen Erstattet der König Ihnen seinen herzlichen Dank ab, heißt Sie wilkomen, und läßt Sie Huldvoll in den Festzug eintreten.
Nun beginnt der Hauptman! - Wilhelm Rech
Durch den Jubel etwas in unordnung gerathen Komandiert er abermahl Stilgestanden.
Die Ansprache bei diesem Feste 28/6 63
Schützen!
Es ist mir zur Pflicht geworden unserem neuen Schützenkönig zu Gradulieren. Ja zu einer angenehmen Pflicht ist es mir geworden Ihm in Eurem Namen zu Danken, und besonderes dadurch daß Er der Presiedent unsers Vereins ist, der den Verein besonders durch die in den letzten Jahren vorgekomenen Hindernißen Glänzent durchgeführt hatt.
Und dan auch noch dadurch, das wir in diesem Jahre, dieser unser neuer Schützen Platz in seiner Grundlage, unter seiner Leitung volbracht haben.
Nun möchte ich Ihm auch noch eins ans Herz legen, nämlich die ferner ausstattung dieses unsers neuen Schützenplatzes, und in der Hoffnung das Er diesem unserm Wunsche entspricht übertrage ich die Ihm gebührende Huldigung nebst übergabe der Ehrenschilde und des Schwertes (von) unserem alten Schützen König Hubert Grün.
Vom Herrn Hauptmann aufgefordert tritt der alte Schützen König - Hubert Grün - Mit der biederkeit eines alten Deutschen, im vollen Gefühle eines Kraftvollen Mannes, mit der begeistrung eines ächten Schützen, in Majestätischer Haltung vor den neuen Schützenkönig.
Die Ansprache bei demselben Feste am 28/6 63
Schützen!
Ich Danke Euch für alle Ehrbezeugung, die Sie mir heute und das ganze Jahr hindurch erwiesen hatt, und wier nun wieder einer aus unser Mitte haben bekomen, der den Preis erlangt hat, weil Er den Meisterschuß von uns allen gethan hat. Deshalb will auch ich Ihm überreichen, was ich im vergangenen Jahr von meinem Vorgänger erhalten habe. So nim den neuer Schützenkönig, empfangen von mir die Wappen von meiner Vorgängern, einige von Ihnen sind nicht mehr, wo sind Sie den? Schon längst vermodert im Grabe. Empfange sie aus meiner Hand ich will schmüken dein Brust Gewand. Zugleich empfange auch das Schwert, von meiner Linke, um das Rechte damit zu währen, so wierd es dir mit Gott wohl gehen auf Erden.
Gerührt durch diese Reden und Ehrenbezeugungen spricht der neue Schützen König seinen wärmsten Dank dem Verein aus, und versichert zugleich dem Wunsche des Vereins so viel in seinen Kräften steht nachzukomen.
Nun setzt der ganze Festliche Zug sich in bewegung, und marschiert unter dem rauschen der Musick nach der Behausung des neuen Schützenkönigs, dort angekomen, wierd der Königin gehuldigt und die Geschänke abgegeben, welche in einer prachtvolle Kaffezerviese bestandt. Von da aus wurde nach dem Schützen Lokale maschiert, wo ein glänzender Ball, die ganze Geselschaft erwartete, der jedem einen Gemüthlichen Abend versprach.
Nun folgen die Bedingungen, welche besonders für dieses Königsfest bestimt sind, und wonach sich jeder Schütz zu richten hat, zugleich auch für immer festgesetzt sind.
Königs Schießreglement
Paragraph 1
Jeder Schütze ist verpflichtet, wenn keine genügende entschuldigung vorhanden ist, diesem Feste respektive Königschießen Persönlich beizuwohnen.
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Die verlosung der Schießnumern und verlesung dieses Reglemangs muß vor dem ausrücken im Lokale stattfinden.
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Die numer Zettel müßen dopelt zugeschlagen, überhaupt so eingerichtet sein, das keine Zahl durchsichtig ist.
4
Der Zeitige König hat den ersten Schuß, dan wierd mit eins angefangen und den laufenden Numern nach, voran geschoßen.
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Derjenige welche eine eigene Büchsse besitzt, darf auch nur allein daraus schießen, und sie unter keiner bedingung einem andern überlassen, falt dieses vor so ist der Schuß ungültig und verlustig. Der also keine eigene Büchse besitzt muß aus den Vereinsbüchsen schießen.
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Es darf keiner die bestimte Ladung überschreiten, nämlich nicht mehr als ein Kugel in die Büchse, und dieser darf nicht über zwei Loth wiegen.
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Jeder Schütze ist verpflichtet seinen Schuß eigenständig abzufeuern, und es wierd nicht gestattet das ein Schuß verschänkt oder übertragen werden.
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Sollte jemand durch genügende Gründe abgehalten sein, dem Schießen nich beiwohnen zu können, und doch wünscht das ein anderer seine Stelle vertreten soll, so hat nur der dan fungierender Schützenkönig das Recht für den abwesenden zu
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Jeder muß seine Büchse oder Gewehr an den dazu bestimten Ort hinsetzen und laden.
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Der Vogel wierd der reihe folgen nach geschoßen, zu erst der Halz 2tens dem Vogel sein rechter Flügel 3tens linker Flügel 4tens der Schweif 5tens der Rumpf mit der Eisernepläte, fält ein unrechtes Pfand auser diesen reihe folgen, so fält es zur Kassa.
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Fallen zwei Pfänder zugleich, so wird blos das rechtmäßige gerechnet nicht zwei zugleich.
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Fält der Vogel wen noch Pfänder drauf sind so gilt derselbe als Königsvogel die Pfänder jedoch fallen zur Kassa.
13
Dasjenige überhaupt, was zuletzt vom Vogel heruntergeschoßen, wierd als Königsvogel betrachtet, ob es Eisen oder Holz ist stellt sich gleich.
14
Die Pfänder müssen dem Rumpf des Vogels gleich abgeschoßen werden, fält hierüber disput vor so wierd darüber Gemeinschaftlich abgestimt.
15
Fält überhaupt etwas ungewöhnliches vor wodurch streitigkeit entstehen könnt, so muß hirüber gleich berathen und abgestimt werden.
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Durch ein beschluß der Generalversamlung vom 14ten Juni 1863 wurde festgesetzt. Das jedes Jahr vor dem Königsschießen, alle Rückstende, ohne ausnahme, bei gezahlt werden müßen, derjenige welche sich hierin weigert, wird zu den Festlichkeiten nicht zugelassen, und der herr Rendant und Protokollführer sind drauf angewiesen, diesen Artikel besonders streng zu handhaben.
Regel des Preisvogelschießens im algemeinen
Paragraph 1
Der König hat den ersten Schuß dan wierd mit eins angefangen, und den gezogenen Numern, nach der reihe geschoßen.
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Jeder ist verpflichtet seine Büchse oder Gewehr an den dazu bestimten Ort hinzustellen und laden.
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Es darf nicht über 2 Loth geschoßen werden, dabei ist auch inbegrifen, das keine zwei Kugeln zugleich geladen werden dürfen, überhaupt ist ein übermäßiges Laden gänzlich untersacht.
4
Derjenige welcher eine eigene Büchse hat darf auch nur allein draus schießen, jeder andere muß aus den Vereins Büchse schießen wiedrigen falls der Schuß ungültig ist.
5
Jeder anwesende Schütz ist verpflichtet seinen Schuß eigenständig abzufeuern, und ohne bessondere Erlaubniß darf kein Schuß übertragen werden.
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Der Vogel wierd der reihe folge nach geschoßen
erstens der Halz
2tens dem Vogel sein rechter Flügel
3tens dito sein linker Flügel
4tens dito sein Schweif
5tens dito sein Rumpf mit der Eisern plätte
fällt ein Pfand außer diesen reihen folge so ist es ungültig und fällt zur Kaßa, fallen zwei Pfänder zugleich so wierd blos ein gerechnet und zwar das regelmäßige.
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Alle Pfänder müßen dem Rumpf des Vogels gleich, abgeschoßen werden.
8
Es wierd ausgeschoßen je nach den Bestimmug
auf den Halz
„ rechter Flügel
auf dem Vogel sein linker Flügel
auf den Schweif
endlich auf den Rumpf mit der Plätte
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Fällt etwas ungewöhnliches vor wodurch streitigkeit entstehen könt, so wierd hierüber gleich berathen und Gemeinschaftlich abgestimmt.
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Der einsatz beträgt -
außerdem wierd an Schußgeld bezahlt -
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Es wierd noch besonders drauf aufmerksam gemacht, das derjenige Einwohner von Roisdorf, welcher nicht im Schützenverein ist, auch zu keinem Schießen zugelaßen wierd.
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Es wierd jedem Schütz gestattet, der aus den Vereinsbüchsen schießen muß, eine Büchse nach belieben, wo er am besten mit eingeschoßen ist zu nehmen, die Büchse sind wie bekannt ist alle gut, deshalb wäre es doch zweckmäßig das die reihen folge der Büchse so viel nur möglich eingehalten würde, weil sonst der aufenthalt zu lang würde.
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Wen alle Pfänder vom Vogel abgeschoßen sind, so wierd derjenige Theil des Vogels welcher zuletzt herunter geschoßen wierd, ob das Eisen oder Holz ist stellt sich gleich, als haupt Preiß betragtet, dieser letzte Theil vom Vogel muß aber so abgeschoßen werden das derselbe bis auf die Erde herunter fällt, und darf auch keiner weise mehr eine berührung mit dem Stangen Vogelruthe und Sterneneisen durchaus nicht haben.
"Tempora mutantur, et nos in illis" - Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen. Vieles in dem "Reglemangs-Buch" von 1863 erscheint uns kurios und altertümlich, aber manches auch vertraut, gerade das allzu Menschliche, das in den in bemühtem Hochdeutsch verfassten Berichten und Regeln durchscheint.
Bereits 1863 waren das Schützenfest und das Königsschießen nicht nur für die Mitglieder des Schützenvereins, sondern für alle Bewohner Roisdorfs ein besonderes Freudenfest. Dies ist bis heute so geblieben und wird auch künftig so sein, wenngleich die Einzelformen - den Zeitläufen entsprechend - sich stets geändert haben und sich immer wieder ändern werden.
Weitere Informationen zur St. Sebastianus Schützenbruderschaft Roisdorf finden Sie auf den Internetseiten
www.schuetzen-roisdorf.de