Die Villa Anna
Großbürgerlicher Sommersitz und wegweisende Gemüsebauschule
Mit einem fröhlichen Umtrunk, zu dem alle Anwohner der benachbarten Straßen eingeladen waren, wurde am 27. Juni 2003 offiziell die Wiederherstellung des ehemaligen Eingangstors zum Gartengelände der Villa Anna im Roisdorfer Oberdorf gefeiert.
Durch die Restaurierung des Tores konnte ein Denkmal gerettet werden, das in mehrfacher Hinsicht bedeutsam erscheint: Zum einen verweist es darauf, dass Roisdorf im 19. Jahrhundert mit seiner idyllischen Lage am von Reben bestandenen Vorgebirgshang und vor allem mit seiner berühmten Mineralwasserquelle beliebter sommerlicher Aufenthalt städtischer Bürger war. Zum anderen erinnert es daran, dass von diesem Ort wichtige Impulse für die Entwicklung der modernen Landwirtschaft im Vorgebirge und im Rheinland ausginge, und nicht zuletzt bilden die Villa Anna und ihr prächtiges Eingangstor ein besonderen Höhepunkt im Ortsbild des Oberdorfs.
Mit der Postkutsche bzw. ab 1844 mit der neuen Bonn-Cölner-Eisenbahn kamen zahlreiche Kurgäste nach Roisdorf, und einige errichteten sich hier sogar eigene Häuser. Prominentestes Beispiel ist die nach 1845 von Architekt Ernst Zwirner auf dem sog. Metternichsberg erbaute Villa des Kölner Geschäftsmanns Heinrich von Wittgenstein. Nicht weniger bemerkenswert aber ist die wohl in den 1870er Jahren errichtete spätklassizistische Villa Anna, wie Haus Wittgenstein ein bedeutendes Beispiel des rheinischen Villenbaus.
Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts erwarb ein Kölner Apotheker namens Matthias Helf am „Oberdorfer Kirchweg“, der heutigen Südstraße, eine Reihe von Parzellen, an einem Ort, auf halber Höhe des Vorgebirgshanges gelegen, der sich durch eine herrliche Fernsicht auf die Bonn und das Siebengebirge auszeichnete. Helf schuf hier einen einem ländlichen Sommersitz für sich und seine Ehefrau. Viel Wert legte er auf die Ausgestaltung des Gartens und er scheint auch etwas von der Landwirtschaft verstanden zu haben, regte er doch – von den ansässigen Bauern damals noch verlacht – den Spargelanbau im Roisdorfer Feld an.
Mehrere Jahrzehnte lang verbrachten die Eheleute Helf ihre Sommer im Roisdorfer Anwesen. Nach ihrem Tod ging es auf ihren Verwandten Theodor Zilliken über. Kommerzienrat Zilliken, aus Kaiseresch bei Cochem stammend, war in leitender Funktion in der Stahl- und Eisenindustrie tätig, so bei der Gutehoffnungshütte in Oberhausen und ab 1883 als Direktor der neugegründeten Westfälischen Stahlindustie, schließlich bei den Stumm’schen Eisenwerken in Neunkirchen im Saarland, wo er 1901 zum Generaldirektor aufstieg und 1904 bis 1908 die alleinige Firmenleitung übernahm.
Hatte Helf Haus und Garten einfach und ländlich gehalten, so baute Zilliken das Ganze nun zu einem prachtvollen herrschaftlichen Landsitz aus. Neben den eher bäuerlich wirkenden Gebäuden der Eheleute Helf entstand ein repräsentatives Villengebäude in spätklassizistischem Stil - ein typischer Vertreter der rheinischen Villenarchitektur der Zeit nach der Reichsgründung von 1870/71. Das genaue Erbauungsjahr ist - mangels erhaltener Unterlagen - leider ebenso wenig bekannt wie der Architekt des Anwesens, das indes mit modernsten technischen und sanitären Einrichtungen versehen war.
Zilliken ist damit der eigentliche Schöpfer der Villa Anna. Im ausgedehnten Park – insgesamt umfasste das Gelände ca. 25.000 qm – errichtete er auch Gewächshäuser, in denen man Gemüse züchtete. Den Tomatenanbau soll sein Schwiegersohn, ein Italiener, von hier aus im Vorgebirge eingeführt haben.
Ein eigener breiter Weg - die Annastraße - wurde als Zufahrt zur Villa geschaffen. Zilliken umgab das Gelände mit einer hohen Mauer bzw. einem Gitter und ihm ist damit auch die Errichtung des restaurierten Tores zuzuweisen.
Zilliken legte zudem eine eigene Wasserleitung an, von der bis heute das Wasserhäuschen im freien Feld oberhalb der Villa zeugt. Über dem Untergeschoss aus massiven Betonwänden, das die Wasserbassins birgt, errichtete man einen filigran wirkenden Aussichtspavillon aus Stahlrohren und kunstvoll gebogenen Stahlbändern. Von hier aus konnte und kann man einen herrlichen Blick über die gesamte Kölner Bucht genießen - vom Dom über die Höhen des Bergischen Landes bis nach Bonn und zum Siebengebirge. Das auf einem verwilderten Grundstück, von Schlingpflanzen umrankt gelegene Wasserhäuschen, in dessen Nähe sich der geheimnisvolle "Donnerstein" befindet, harrt noch der ihm gebührenden Wiederherstellung.
Auch die Familie Zilliken bewohnte die Villa lediglich im Sommer. Wenn man sich im Winter im Stadthaus an der Bonner Poppelsdorfer Allee aufhielt, so versorgte ein in der – erhaltenen – Remise wohnender Gärtner das Anwesen. In Roisdorf blieb Zillikens Engagement für das Gemeinwohl unvergessen. So war er ein eifriger Förderer der 1903 neugegründeten Roisdorfer Freiwilligen Feuerwehr, stiftete er 1900 für den neuen Kirchturm eine von seinem Verwandten in Münstermaifeld hergestellte Uhr, die noch heute ihren Dienst tut.
Nachdem Theodor Zilliken 1909 gestorben war, geriet seine Witwe in finanzielle Schwierigkeiten, so dass das Roisdorfer Anwesen zum Verkauf angeboten werden musste. Glücklicherweise zerschlugen sich die Pläne eines Amerikaners, hier eine Hühnerfarm anzulegen.
1926 übernahm der Landkreis Bonn das Anwesen. Zum Wintersemester 1929/30 begann er in den nun zu Schulräumen und Lehrerwohnungen umgebauten Räumen der Villa die „Obst- und Gemüsebauschule“ den Lehrbetrieb. Jungbauern konnten sich hier jeweils zwei Semester lang in Gemüse- und Obstbau, Maschinen-Gerätekunde, Düngerlehre, Chemielehre, Buchführung etc. und nicht zuletzt in Treibhauskunde fortbilden, war man doch besonders stolz auf die hochmodernen „2000 m2 unter Glas“.
Auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb der Landkreis Bonn die Gemüsebauschule erfolgreich. Wichtige Impulse gingen von hier aus für die moderne Landwirtschaft am Vorgebirge und im gesamten Rheinland aus. Viele Roisdorfer erinnern sich noch lebhaft an den Lehrbetrieb in der Gemüsebauschule - und auch an den legendären "Spruteball", der in der Nachkriegszeit einen Höhepunkt im Ortleben bildete.
Schließlich entschloss sich der Landkreis Bonn indes zum Bau einer neuen Schule an anderem Standort. Die Villa stand erneut zum Verkauf. 1971 erwarb Prof. Dr. Gerhard Kölbel das Villengebäude, das er bis heute bewohnt.
Das Gartenbaugelände mit seinen Gewächshäusern, das lange Zeit brach gelegen hatte, wurde schließlich in den 1990er Jahren parzelliert und für die Bebauung mit Einfamilienhäusern erschlossen. Arg verfallen und verrostet präsentierte sich das ehemals prächtige schmiedeeiserne Eingangstor. Wenig sorgsam hatte man es im Zuge der Bebauung des Geländes behandelt.
Auf Initiative des Roisdorfer Ortsverbands der CDU konnte dies im Jahre 2003 geändert werden. In aufwendiger Eigenleistung wurden die Torflügel von Ortsvorsteher Wilhelm Rech wiederhergestellt, brachte die Roisdorfer Firma Peter Brings auf den gemauerten Torpfosten Abdeckungen an, die künftig das Eindringen von Regenwasser in das Mauerwerk verhindern sollte, versahen die Heimatfreunde Roisdorf die Pfosten mit einem neuen, dem Charakter der klassizistischen Villa entsprechenden Anstrich. Inzwischen erscheint eine erneute Ausbesserung des Putzes der Pfeiler angeraten.
Die Villa Anna kündet somit in mehrfacher Hinsicht von der Vergangenheit Roisdorfs: Von seiner Funktion als großbürgerliche Sommerfrische im 19. Jahrhundert und von diesem Ort als Ausgangspunkt für den im 20. Jahrhundert das gesamte Vorgebirge prägenden Obst- und Gemüseanbau. Aber nicht nur das prächtige Herrenhaus samt Tor, sondern auch das verwunschene Wasserhäuschen mit seinem bemerkenswerten Aussichtspavillon erscheint der Erhaltung für künftige Generationen wert.