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Angeborene Vergnügungssucht

Aus der Roisdorfer Pfarrchronik

Man schrieb den 22. Februar 1946. Die bitteren Zeiten des Zweiten Weltkriegs waren vorbei. Es herrschte Frieden, auch wenn die Lebensverhältnisse immer noch und auf unabsehbare Zeit entbehrungsreich waren. Die Roisdorfer Jugendlichen, die vorher in die Zwänge des nationalsozialistischen Systems eingebunden gewesen waren, erkundeten ihre neue Freiheit und suchten ihren Spaß am Leben. Oft schlugen sie dabei über die Strenge, was von den Erwachsenen, und nicht zuletzt von der Pfarrgeistlichkeit, als zunehmende Verrohung der Sitten empfunden wurde.

Der Roisdorfer Pastor Matthias Ossenbrink, obwohl Festen und Feiern und dabei einem Gläschen in Ehren sowie einem Zigärrchen keineswegs abhold, beklagte in der Pfarrchronik die Ausschweifungen der Jugend. Manches von dem, was er damals besorgt berichtete, ist heute indes nicht ganz ohne Schmunzeln zu lesen.

Wirtschaft "Pötze Köbes"

Bericht über die Vergnügungssucht bzw. die entsprechenden Veranstaltungen in Roisdorf

Seitdem nach Einrücken der Amerikaner 2 Tanzsäle (ein 3. ist glücklicherweise einem Fabrikunternehmen zur Verfügung gestellt worden) wieder in Ordnung gebracht worden sind, vergeht seit Weihnachten sehr selten ein Sonntag, an dem nicht wenigstens in einem der beiden Säle Tanzvergnügungen stattfinden, abgesehen davon, dass ein Wirt schon viele Monate hindurch jeden Samstagabend Musik (mit Tanz) in seinem Lokal veranstaltet. Dazu treten an Abenden von Wochentagen Varietébühnen auf. Ein Saalinhaber scheute sich nicht, am Nachmittag des 2. Weihnachtstages eine gewisse Grete Fluss aus Köln auftreten zu lassen, obwohl zur gleichen Zeit in der Kirche ein Krippenspiel zur Aufführung gelangte. Gerade dieser Tag zeigte in krassester Form die angeborene Vergnügungssucht der Vorgebirgler. Die Jugendlichen, welche die Hauptfiguren im Krippenspiel darstellten, hatten nach Beendigung des Spiels, trotz mehrfacher gegenteiliger Ermahnungen der Pfarrgeistlichen, nichts Eiligeres zu tun, als auf den Tanzboden zu gehen. (Sie sind allerdings nun gründlich bekehrt!)

Karnevalsvergnügen in der Nachkriegszeit

Das Publikum bei den Vergnügungsveranstaltungen setzt sich nämlich zum allergrößten Teil aus Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren zusammen, welche die Veranstaltungen ohne Begleitung der Erziehungsberechtigten besuchen, auch die Jugendlichen, die jede Woche ihre Glaubensstunde besuchen und jeden Monat am Jugendsonntag an der Kommunionbank knien, ein Zeichen dafür, dass die fortwährenden Ermahnungen der Geistlichen wenig fruchten. Der hohe Eintrittspreis etwa in Höhe von 5 Rm. oder der Preis der Getränke, etwa Rm. 1,10 für ein Glas Wasser, spielen keine Rolle. Allerdings bringen Einsichtige hiermit das Anschwellen der Diebstähle von Kleinvieh in Verbindung. Die Jugendlichen, welche das nötige Geld nicht zur Verfügung haben, gehen, ortskundig, wie sie sind, auf Diebstahl aus, um sich auf diese Art und Weise das Geld zu verschaffen. Die Polizei versagt in allen Fällen vollständig. Gelegentlich stehen zwar Polizeiposten vor Beginn der Veranstaltung an den Eingängen des Lokals, lassen dann aber ungesehen alle Jugendlichen passieren. Besonders verderblich ist auch, dass die Jugendlichen zu diesen Veranstaltungen Schnaps mitnehmen, den sie (trinken), ohne vom Wirt, wenigstens einem im Dorf, daran gehindert zu werden. Das geschieht auch in diesem Lokal z.B. an den Samstagabenden.

Die meisten Jugendlichen waren jedoch sittsam

Die Folgen von solchem Tun zeigen sich natürlich auch. Nach Schluss der Veranstaltungen bzw. Schließung der Lokale wegen Feierabend sind jrohlende Gruppen von Jugendlichen auf den Straßen keine Seltenheit. Die Redensarten, die sie führen, die Lieder, die sie singen, geben Zeugnis von ihrer Verfassung. Manche Ehe kommt nur zustande, weil die Betreffenden sich vorher miteinander vergangen haben. Die in Aussicht genommenen Eröffnungen von Kinos in Nachbargemeinden werden die Situation noch verschlimmern.

Trotzdem die Pfarrgeistlichen ihr Möglichstes tun im Beichtstuhl, Unterricht und Predigt, auch Ermahnungen der Wirte, ist es höchste Zeit, dass auch andere verantwortliche Instanzen mit ihnen Hand in Hand arbeiten, und der wahnsinnigen Vergnügungssucht zu steuern.

Pfarrer Matthias Ossenbrink