Kalender 2018
"Roisdorf wie es war"
Titelbild
Ein großartiges Panorama bietet sich seit jeher demjenigen, der vom Roisdorfer Oberdorf aus auf die südliche Kölner Bucht, auf Bonn und dahinter das sagenumwobene Siebengebirge blickt. Dies konnten bereits die ritterlichen Herren von Roisdorf genießen, die vom 13. bis 15. Jahrhundert hier auf dem Donnerstein ihre wehrhafte Höhenburg innehatten. Später, nach dem Weggang der Ritter, sollte das Anwesen als immer noch stattliches Gehöft unter dem Namen „Sterffelshof“ bekannt sein. Um den Hof, mit dem weiterhin hoheitliche Rechte, nicht zuletzt das einträgliche Einzugsrecht des Roisdorfer Zehnten, verbunden waren, gab es über Jahrhunderte gerichtliche Streitigkeiten, bevor der Hof selbst an die Eigentümer der Wolfsburg, also die Herren von Wolff-Bergheimerdorf, der Zehnte an das Bonner Cassiusstift übergehen sollte. Der schöne Blick aus dem noch etwas oberhalb liegenden Haus der Familie Reiffert zeigt die einzig bekannte Rückansicht des aus mehreren Einzelgebäuden be-stehenden, wenige Jahre später abgerissenen Sterffelshofs.
Januar
Als Matthias Ossenbrink als Roisdorfer Pfarrer wirkte, war es in jedem Jahr für die Kinder und Jugendlichen ein besonderes Ereignis: Das Fest der hl. Dreikönige am 6. Januar, das natürlich in der Pfarrkirche St. Sebastian besonders feierlich begangen wurde. Die Messdiener, die zuvor als Sternsinger, also mit Kronen versehen und samt leuchtendem Stern von Bethlehem durch das Dorf gewandert waren, zogen durch den Mittelgang in die vollbesetzte Kirche ein und führten ein – heute leider verschollenes – segnendes Christuskind mit sich. Höhepunkt des folgenden Gottesdienstes war die Predigt, die anders als sonst nicht vom Herrn Pastor, sondern von einem der älteren Messdiener gehalten wurde – ein schöner Brauch, der an die Tradition der „Kinderbischöfe“ an den mittelalterlichen Domkirchen anknüpfte, die dort zu besonderen Gelegenheiten verkleidet die klerikale Ordnung auf den Kopf stellten. Den Text der Predigt zu formulieren, behielt sich Pastor Ossenbrink allerdings dem Vernehmen nach selbst vor.
Februar
Trotz allem gebotenen religiösen Ernst und pastoraler Strenge war Matthias Ossenbrink, Roisdorfer Pfarrer von 1941 bis 1967, doch kein Kind von Traurigkeit. Er liebte das – auch feuchtfröhliche – gesellige Beisammensein im Freundeskreis und in den Vereinen, und auch der Fastelovend war ihm als „Kölschem Jung“ alles andere als fremd. So gehörte das karnevalistische Treiben zur Jugendarbeit der Pfarrgemeinde selbstverständlich dazu – gewiss in gesittetem Rahmen und ohne die mit übermäßigen Alkoholkonsum verbundenen Ausschweifungen der halbstarken Jugend, wie er sie unmittelbar nach dem Kriege, als manche bisherigen Werte in Frage gestellt wurden, energisch angeprangert hatte. Unser Bild zeigt eine Gruppe von jungen Mädchen der Pfarrgemeinde bei einer sol-chen fröhlichen Feier am Weiberfastnachtstag des Jahres 1958 samt dem offenbar gutgelaunten Pastor. Es wird indes berichtet, dass einige der Mädchen im Anschluss an die Gruppenstunde zum durchaus weniger behüteten karnevalistischen Treiben in den Tanzsaal Badenheuer weitergezogen seien.
März
Die Bahnbediensteten, die sich hier mit ihren Damen auf dem Bahnsteig des Roisdorfer Bahnhofs präsentieren, wirken schon von ihren Uniformen her merkwürdig fremd. Tatsächlich ist dieses Foto ein seltenes Zeugnis einer Episode in der Geschichte des Bahnhofs, als dieser unter dem sogenannten „Regiebetrieb“ stand. Das französische und belgische Militär hatte – in der Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs – Anfang 1923 den Bahnbetrieb in den besetzten Gebieten am Rhein unter der Bezeichnung „Régie des Chemins de fer des Territoires occupés“ übernommen, um die Abfuhr der Reparationsgüter vor allem aus dem Ruhrgebiet sicherzustellen. Großen Erfolg hatte das nicht: Viele Militäreisenbahner waren mit den deutschen Betriebsvorschriften und Sicherheitseinrichtungen nicht vertraut, so dass es zu einer Vielzahl von Zusammenstößen und anderen Unfällen gekommen sein soll. Bereits Ende 1924, nach einer Neuregelung der Reparationszahlungen, wurden die Eisenbahnen an die Deutsche Reichsbahn zurückgegeben, nahmen die deutschen Eisenbahner wieder ihren Dienst auf.
April
Von den Eltern der Roisdorfer Halbwüchsigen besorgt beäugt, von diesen selbst aber und bald auch von denen der Nachbarorte heiß geliebt, war der Beatschuppen, den Mitte der 1990er Jahre Helmut Martin im vormaligen Tanzsaal der Gaststätte Frings eröffnete. An jedem Wochenende stark frequentiert, trug das Lokal den passenden Namen „Weekend“. Markanter Werbeträger war ein Oldtimer, den Willi Frings an einer Kölner Tankstelle spontan gegen seinen VW Porsche eingetauscht hatte. Als Otto Stemmler 1974 die Gastwirtschaft samt Weekend übernahm, war die Beat-Musik vom Disco-Sound abgelöst worden, und so baute Stemmler das Lokal in den folgenden Jahren zu einer schicken Diskothek um, in der bald allerhand Pop-Größen aus- und eingingen, wie Bernhard Brink oder Stimmungs-Titan Wolfgang Petry. Als ab der Mitte der 1990er Jahre dann Großraumdiskotheken den Dorf-Diskos den Rang abliefen, wandelte sich das Weekend zum Saal für Familien-, Firmen- und Vereinsfeiern, so dass hier z.B. immer wieder die kommende Roisdorfer Karnevalsprinzessin vorgestellt wird. Die Heimatfreunde etwa halten hier ihre monatlichen Versammlungen ab. Aber auch nach einem halben Jahrhundert lebt die Disko-Tradition des Weekends: Eine treue Fangruppe trifft sich hier regelmäßig zum „Weekend-Revival“ und begeistert sich an der Atmosphäre der Jugend.
Mai
Unter diesem Wahlspruch fanden sich im Jahre 1906 gleich mehrere Dutzend Roisdorfer Männer zusammen, um aus dem Musikverein, der sich in den Vorjahren als kleiner Kreis junger Freunde zwecks geselliger Unter-haltung und der Pflege der Musik- und Gesangeskunst gebildet hatte, offiziell den „Männer-Gesangverein Melodia“ zu gründen, dies als weltliches Gegenstück zu dem bereits im Jahre 1890 gegründeten Kirchenchor „Cäcilia“, dem damit auch nicht-katholische Sänger wie etwa der jüdische Metzger Philipp Löb angehören konnten. Einen Höhepunkt im Vereinsleben bildete das Jubiläum des 25-jährigen Bestehens im Jahre 1931, zu dem man eine Festschrift herausgab und das mit Jubelkonzert und Fest-bällen sowie einem Festumzug begangen wurde, an dem sich neben 22 befreundeten Gesangvereinen die Roisdorfer Ortsvereine, samt Krieger-Verein, Mandolinenclub und Theater-Verein, beteiligten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1970er Jahre hinein folgten zahlreiche Gesangsdarbietungen vor Ort und auswärts, bei denen man, nach eigenem Bekunden, viel dazu beitrug, „die Heimatliebe zu erhalten und über die Alltagssorgen hinweg zu helfen“.
Juni
Er gehörte zu den berüchtigten „Illuminaten“, die damals in Bonn aller-dings lediglich eine honorige, dem Geist der Aufklärung verpflichtete Gruppe von Gelehrten, Künstlern und gebildeten Bürgern darstellten: Professor Franz Wilhelm Kauhlen (1750-1793). Aus einer den Alfterer Grafen verbundenen Bauernfamilie in der Nähe von deren Hauptresidenz Schloss Dyck am Niederrhein stammend und an der Duisburger Universität zum Arzt ausgebildet, hatte er es 1774 in seiner Dissertation unternommen, das Wasser des Roisdorfer, den Grafen gehörenden Sauer-brunnens zu analysieren. Ergebnis: Den hochberühmten Wässern etwa von Niederselters zumindest gleichwertig. Auch wenn es nicht gelang, hier dauerhaft einen Kurbetrieb zu etablieren, begründete er doch den Auf-schwung des Mineralbrunnens und beförderte damit nachhaltig Roisdorfs wirtschaftliche Entwicklung. Es wäre angemessen, ihm endlich in unserem Ort ein Denkmal zu setzen oder eine Straße nach ihm zu benennen.
Juli
Zu jedem Dorf gehörte eine Dorfschmiede zwecks Anfertigung und Reparatur der Acker- und Handwerksgeräte sowie zum Beschlagen der Pferde. Die Aktivitäten der Betreiber der Roisdorfer Schmiede in der Brunnen-straße, es war dies über etwa 250 Jahre durchweg die Familie mit dem treffenden Namen Schmitz, gingen weit darüber hinaus. So betreute man im 19. Jahrhundert die Schwenkpumpen für die Lokomotiven der Bonn-Cölner-Eisenbahn, stattete die Dörfer des Vorgebirges mit öffentlichen Handpumpen aus, stellte Dreschmaschinen mit Göpelantrieb her, handelte man mit Pferden und pflegte man auch die des Mineralbrunnens, betrieb daneben noch Landwirtschaft. Die emsigen Schmitze galten nach Gammersbach, Custor und den Clarenhalfen (Jüssen) als die wohlhabendste Familie am Ort. Ihre Schmiedetradition endete erst in den 1970er Jahren mit Peter Lanzerath, dem Schwiegersohn des auch als engagierter Schützenbruder bekannten Franz Schmitz.
August
Wie wichtig der 1844 eröffnete, eigentlich für die Anreise von Kurgästen gedachte Roisdorfer Bahnhof in späteren Jahrzehnten für Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe in Roisdorf und Umgebung war, zeigt unser Bild vom Ende der 1920er Jahre: Hier hatte sich die Obst- und Gemüseversteigerung etabliert, welche die landwirtschaftlichen Produkte des Vorgebirges vermarktete, von hier aus wurde das Roisdorfer Mineralwasser in alle Welt versandt, hier kamen die Rohstoffe für die benachbarte Lederwarenfabrik Gammersbach an, wurden deren Fertigprodukte in Güterwagen verladen usw. Den bis heute erhaltenen, gewiss denkmalwürdigen Güterbahnhof, der im Hintergrund zu sehen ist, zu restaurieren und in eine dringend gebotene Neugestaltung des Bahnhofsgeländes einzubeziehen, stößt allerdings von vorneherein auf den Widerstand der Deutschen Bahn, welche Platz für künftige zusätzliche Gleise reklamiert, so dass er irgendwann leider verschwinden dürfte.
September
Die erste öffentliche Aktion der als „Arbeitskreis für Geschichte und Brauchtum“ frisch gegründeten Heimatfreunde Roisdorf war es, zur Groß-kirmes im September dem Dorf erstmals seit Jahrzehnten wieder einen Paias zu präsentieren, also die traditionelle Symbolfigur der rheinischen Kirmes. Am Kirmessamstag mit Musik an der Haltestelle „Roisdorf West“ abgeholt, wurde er von den würdigen Herren des Vereins durch die Gast-wirtschaften des Dorfes und auf den Schützenplatz, wo damals das Königsschießen stattfand, getragen, um dann am Sonntag nach der Kranzniederlegung im Fenster der Gaststätte „Zur Wolfsburg“ platziert zu werden. Die Gerichtsverhandlung auf dem Kirmesplatz an der Grundschu-le am Kirmesdienstag endete vor der Urteilsvollstreckung, wie auch heute noch, mit dem „Letzten Tanz“ des Paias mit seiner trauernden Witwe in spe, damals und auch in späteren Jahren genial verkörpert von Marlies Gratzfeld, später Hennes.
Oktober
Die Arbeit in Gammersbachs Fabrik, sei es in der sogenannten „Ohsebud“, also in der Gerberei, sei es in der Lederlackiererei, war nicht nur schwer, sondern wegen der reichlich verwendeten Chemikalien auch alles andere als ungefährlich. Dies war auch der Fabrikleitung bewusst, und so beauftragte man den Gammersbach‘schen Kutscher, Hubert Ackermann, damit, täglich nach Hersel zu fahren und dort für jeden der Arbeiter eine Portion Milch zu holen. Diese sollte die schädliche Wirkung der Gifte kompensieren. Kutscher Ackermann versah seinen Dienst über lange Jahre und mit solcher Zuverlässigkeit, dass die im Feld arbeitenden Bauern immer wussten, wieviel Uhr es war, da Ackermann stets zur gleichen Zeit mit seiner Kutsche auf dem Herseler Weg vorbeifuhr. Leider endete Ackermanns Leben ca. 1938 mit einem tragischen Unfall: Da es regnete, zog er seinen ledernen Kutschermantel über und eilte die Stufen der steilen Treppe seiner Dienstwohnung hinunter. Er trat in den langen Mantel und stürzte: Genickbruch.
November
Zur Gemeinschaft der in unserer Ortschaft aktiven Vereine und Gruppierungen zählt – seit nunmehr sieben Jahrzehnten – auch die Kolpingsfamilie Roisdorf. Gegründet 1948, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, konnte sie im Jahr 1973 ihr 25-jähriges Bestehen feiern. Aus diesem An-lass entstand auch das hier zu sehende Gruppenfoto, zu dem sich zwei Dutzend Mitglieder vor dem Portal der alten Pfarrkirche versammelt haben. Manche der dort abgebildeten Personen haben über lange Zeit das Vereinsleben der Kolpingsfamilie geprägt und auch im Vorstand Verantwortung übernommen. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass inmitten der Herren eine einzige Dame zu sehen ist: Gertrud Kentenich, schon kurz nach der Öffnung des – aus dem „katholischen Gesellenverein“ hervorgegangenen – Kolpingwerkes für Frauen 1971 Mitglied geworden, steht im Jubiläumsjahr 2018, also im 70. Jahr des Bestehens, als Vorsitzende an der Spitze der Kolpingsfamilie Roisdorf.
Dezember
Was bei der Krippe in der Roisdorfer Pfarrkirche immer wieder fasziniert, ist die Vielfalt, mit der das weihnachtliche Geschehen hier vor Augen geführt wird, nicht nur mit den eigentlichen Weihnachtsszenen, sondern auch den adventlichen und nachweihnachtlichen, von der Verkündigung der Menschwerdung Gottes an Maria durch den Engel bis hin zur Flucht der Hl. Familie nach Ägypten. Die beweglichen Figuren, welche die bedeutende Krippenkünstlerin Johanna Lamers-Vordermayer in den letzten Kriegsjahren für Roisdorf anfertigte, und die, wenn auch mit erneuerten Gewändern, bis heute verwendet werden, lassen eben eine besonders vielfältige und lebendige Darstellung zu. Die schlichte Eleganz der Figuren besticht auch heute noch, ebenso wie auf unserem Bild von 1961. Nur wer genau hinschaut, dem wird jedoch auffallen, dass die Jungfrau Maria passend zu den einzelnen Szenen einen jeweils eigenen Gesichts-ausdruck hat – das Geheimnis sei hier verraten: Die Figur verfügt über drei verschiedene, auswechselbare Köpfe.